Als ich Madeleine Becker in Kärnten besuche, fühlt es sich nicht nach Arbeit an, sondern – seien wir ehrlich – nach Urlaub. Die Sonne strahlt, auf den Hügeln liegt noch Schnee und es riecht wunderbar nach Bauernhof. Schnell schlüpfe ich in ein paar große, grüne Gummistiefel, die Madeleine mir anbietet, und folge ihr direkt in den Stall. Ich bin gerade passend zum mittäglichen Ausmisten und Füttern gekommen. Die Kühe geben den Takt des Tages vor.
Mit großen Bewegungen schwingt Madeleine durch den kleinen, dunklen Stall, erst mit dem Besen, dann mit der Mistgabel in der Hand. Routiniert kehrt sie Streu zusammen, teilt Futter aus, streckt kurz die Hand aus, um eine Kuh zu streicheln. Sie kennt die Eigenheiter jeder Kuh. „Suzette hat es immer besonders eilig“, grinst sie und verteilt das Futter vor den Tieren.
Dann stellen wir die Gummistiefel im Flur ab und laufen in dem Bauernhaus die knarzenden Treppen nach oben. Dort wohnt Madeleine mit ihrem Freund Lukas. Seinen Eltern gehört der Hof und der Campingplatz nebenan.
Eine vegane Milchbäuerin
Madeleine hat nicht nur die meiste Arbeit auf dem Hof übernommen, sondern ist gleichzeitig auch Teil der Familie geworden. Vor einem anderthalben Jahr hat sich ihr Leben um 180 Grad gedreht. Jetzt sind die Kühe ihr Alltag – und das, obwohl sie selbst nicht einmal Milch zu sich nimmt. Denn Madeleine lebt größtenteils vegan.
Die Arbeit mit Tieren, sagt sie, könne einem viel zurückgeben. „Die Kühe erkennen dich, kommen zu dir, wollen liebkost werden. Das sind winzige Dinge, aber für mich wiegen sie schwer“, sagt Madeleine. Körperlich zu arbeiten, gefällt ihr. So könne sie sehen, was sie geschafft habe.
Mit den Bergen um sich fühle sie sich immer beschützt. Und auch die Mentalität der Menschen gefalle ihr. Alle seien per Du miteinander, entspannt und entschleunigt. „Es gibt hier keinen Leistungsdruck. Man muss keine besten Verkaufsleistungen haben.“
Anstrengend, aber ohne Leistungsdruck
Das gilt auch für sie selbst. Mit ihrer Entscheidung, auf dem Hof zu arbeiten, hat Madeleine sich teilweise dem gesellschaftlichen Leistungsdruck entzogen. Da macht es ihr wenig aus, dass es im Supermarkt auf dem Dorf kaum vegane Produkte gibt. Oder dass sie ihr Hobby Feldhockey aufgeben musste, weil es in der Nähe keine Mannschaft gibt.
„Manchmal, wenn ich hier draußen in der Sonne stehe, die Kälber sind auf der Wiese, die Hühner gackern und mein Freund kommt angerannt – dann habe ich wirklich Angst, aufzuwachen.“
Für einen Bauernhof verantwortlich zu sein, ist aber auch anstrengend. Das erste Mal in den Stall muss Madeleine jeden Tag kurz nach sechs. Dann macht sie sauber, füttert alle Tiere, schließt die Melkmaschine an. Das alles dauert knappe zwei Stunden. Über den Tag muss sie sich immer wieder um die Tiere, den Hof, den Stall und im Sommer auch um den Campingplatz kümmern.
Das bedeutet auch, immer da zu sein, immer auf Abruf. Wenn man auf einem Bauernhof lebt und arbeitet, lassen sich Arbeit und Privatleben schwer trennen. Die Tiere warten nicht, sie bestimmen Madeleines Tagesrhythmus. Pausen gibt es darin nicht. Normalerweise. Madeleine aber hat nach einigen Verhandlungen jetzt mittwochs immer frei. „Wenn ich sieben Tage die Woche durcharbeite, werde ich grantig“, sagt sie und lacht.
Ein zweites Leben online
Madeleine verdient nicht nur mit der körperlichen Arbeit auf dem Hof Geld. Sie hat außerdem seit drei Jahren einen sehr gut laufenden Instagram-Account, auf dem sie fast täglich etwas postet.
„Ohne Insta würde mir schon echt etwas fehlen“, sagt Madeleine. Der Account ist für sie ein Ausgleich zum Hofleben und eine Möglichkeit, zu schreiben und sich kreativ auszuleben.
„Außerdem ist es immer schön, Feedback zu bekommen“, sagt sie. Natürlich sei ihre Instagram-Followerschaft kein Ersatz für einen Freundeskreis, „aber es ist ein schönes Gefühl, dass unter den 20.000 garantiert immer einer ist, der mir zuhört.“
Seit neuestem schreibt Madeleine außerdem an einem Buch. Ein Verlag ist über Instagram auf sie aufmerksam geworden. Ein sehr glücklicher Zufall – denn ein Buch zu schreiben, war schon immer ihr Traum:
„Als ich die Mail gelesen habe, habe ich erstmal vor Freude in der Milchkammer laut geschrien.“
Die Nachteile des Dorflebens
Ihr Umfeld in Österreich hat sich bisher nur wenig für ihr Schreiben und für ihren Instagram-Account interessiert. Langsam wächst das Interesse. Insgesamt hat Madeleine aber auf dem Dorf immer noch mit Klischees zu kämpfen: „Ich werde ganz oft brav, lieb oder hübsch genannt“, sagt sie – „was ich nebenher mache oder ob ich was im Kopf habe, spielt hier keine große Rolle.“
Aber durch ihre Arbeit im Stall habe sie sich auch schon Anerkennung verdient. „Anfangs hat mein Chef, Lukas‘ Papa, noch alles besser gewusst. Aber nach einer Weile hat er dann sogar zu seinen Kumpels gesagt: ‚Seit die Lena da ist, ist der Stall sauberer als zu meinen Zeiten.‘ Darüber habe sie sich gefreut.
Trotzdem sagt Madeleine: „Ich würde den Hof nie selbst pachten oder führen. Wahrscheinlich würde ich einen Spendenaufruf starten und einen Gnadenhof draus machen.“ Sie lacht.
Dann wird sie wieder ernst. Sie trinkt die Milch, die auf dem Hof produziert wird, nicht. Aber wahrscheinlich, sagt sie, werden nie alle Menschen vegan leben. Dann sei es besser, wenn deren Milch wenigstens von Bio-Kleinbetrieben produziert würde.
Wie es zum Treffen mit Madeleine Becker gekommen ist
Als ich mit der Recherche für "gretchenfragen" begonnen habe, war ich schon länger eine von Madeleines Followerinnen auf Instagram. Ich habe aus der Ferne verfolgt, wie ihre Beziehung in die Brüche ging, wie sie sich nach Österreich aufmachte und wie sie schließlich dort blieb.
Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, woher sie den Mut für all diese krassen Entscheidungen nimmt: Alleine und potenziell langfristig nicht nur in ein anderes Land, sondern auch aus der Stadt mitten ins tiefste Dorf zu ziehen und vor allem – die akademische Karrierewelt hinter sich zu lassen, ihre Studienabschlüsse zu ignorieren und etwas völlig Neues zu machen. Madeleine Becker zeigt, wie ein Leben aussehen kann, in dem der Lebenslauf keine Rolle spielt.
Ich habe Madeleine am 24. Februar 2020 in Kärnten auf dem Bauernhof getroffen. Das Porträt gibt den Stand wieder, den ihr Leben zu diesem Zeitpunkt hatte.